Yoko fragt mich, was ich essen will. „Soba!“ antworte ich und rechne damit, dass wir in eine kleine Soba-Bar ums Eck gehen. 6.000 Yen, also umgerechnet 42 EUR, soll das Abendessen kosten. Für Soba, also Buchweizennudeln durch eine Sauce geschlürft, doch ein stolzer Preis. Aber ich vertraue Yoko und tatsächlich bringt sich mich in eine kleine, versteckte Soba-Bar mit 8 Sitzplätzen und einem Menü, das die Kargheit des Buchweizens zur Perfektion bringt. Herr Shimada, Eigentümer dieses Restaurants ist ein Soba-Meister, der mit seinen über 60 Jahren auf eine lange Soba-Vergangenheit zurück blicken kann.
Ich kann mich erinnern, dass ich 1998 erstmals mit Soba in Kontakt gekommen bin. Ryota, mein japanischer Studienkollege, erklärte mir wie man diese kalten Nudeln schlürft und auch, dass sie ein beliebter Snack für die Japaner sind, da der Nährwert hoch und der Preis niedrig ist. Die traditionelle Sauce Kake Soba besteht aus einer Brühe (Dashi), Reiswein und Sojasoße. Meistens wird die Sauce noch mit frisch geriebenem Ingwer, Wasabi und fein geschnittener Frühlingszwiebel serviert (siehe Foto). Je lauter geschlürft, desto besser!
Meister Shimada ist jedoch kein Purist, sondern er führt im vorgegebenen Set-Menü über mehrere Gänge hin zum Hauptgang: kalten Soba. Buchweizen, erklärt er nebenbei, ist ein völlig anspruchsloses Korn, das auch auf kargen Böden wächst.
Zuerst ist Meister Shimada noch etwas zurückhaltend, als er aber – durch Yoko dankenswerterweise übersetzt – mein wirkliches Interesse an seiner Nudelkunst bemerkt, taut er auf. Er erklärt ausführlich seinen Werdegang als Lokalbesitzer, das Scheitern seiner Ehe aufgrund seiner Lokale und die Herrlichkeit von Soba.
Die japanische Esskultur ist schon wirklich speziell und als Touristin kann man daher wirklich viel falsch machen. Ich bin daher sehr froh darüber, dass ich Yoko hier an meiner Seite habe. Beispielsweise wird das Nudelwasser nicht entsorgt, sondern aufgehoben und nach dem Essen mit der übrigen Sauce (Kake Soba) vermischt und getrunken. (Ähnliches gibt es mit Reis in Südkorea auch.) Auch ein weiches Nockerl wird damit gekocht und gemeinsam mit Sauce und Wasabi gegessen.

aus dem Wasser wird auch eine Art weiches Nockerl geformt, die wiederum mit Sauce etc. gegessen wird
Soba wird auch zum Jahreswechsel gegessen und ist traditionell das letzte Gericht, das im alten Jahr auf den Tisch kommt. Es wird auch als symbolisches Essen erachtet, wenn es Einschnitte oder große Veränderungen im Leben gibt.
Mein Übersetzter beim Soba-Kurs (Bericht online) stammt eigentlich aus Okinawa, der südlichsten Präfektur von Japan, und ist auch frisch gebackener Soba-Meister. „Warum Soba-Meister?“ frage ich meinen ca. Mitte 40jährigen Übersetzer. Denn Soba hat eigentlich Tradition im Norden von Japan. Aber er erklärt mir, dass ihn die Katastrophe von Fukushima und sein freiwilliger Einsatz vor Ort sein Leben hat überdenken lassen und Heimat bzw. Ursprung eine neue Wertigkeit für ihn bekommen. Er hat seinen alten Job gekündigt und gedenkt nun in seinem Heimatort auf Okinawa eine Soba-Bar zu eröffnen.
Meister Shimada ist auch froh, dass Yoko mich begleitet und mir übersetzt, denn es frustriert ihn, wenn er seine Soba-Kenntnisse nicht mitteilen kann. Er würde sich daher wünschen, dass Touristen ausschließlich in Begleitung mit japanisch sprechenden Personen kommen. Davon würde ich mich allerdings nicht abschrecken lassen. 😉 Die japanische Visitenkarte inkl. Lageplan sollten aber auf alle Fälle ausgedruckt mitgenommen und vorher auf japanisch von jemanden reservieren lassen. Ein kleiner Hinweis auf mich, wird auch nicht schaden, denn beglückt von meinem Interesse für sein Lokal, schenkt mir Meister Shimada auch noch eine antike Kake Soba-Tasse zum Abschied. Die getrunken Sake bleiben unberechnet und Yoko und ich torkeln satt und glücklich zur U-Bahn.